PresseAlfred Grimm – ein sensibler Berserker

— NRZ

Die NRZ gratuliert
60. Geburtstag/Langjähriger Wegbegleiter würdige das Schaffen des Künstlers

Dieter G. Eberl

Dinslaken/Hünxe. Es ist ein Kreuz mit dem Mann! Alles sammelt er. An keinem Trödelmarkt, an keinem Sperrmüllhaufen kann er vorübergehen, ohne etwas Wiederverwertbares zu entdecken. Was andere wegwerfen (Spiegelglasreste, rostige Schrauben, Kabel, alte Elektrogeräte, Plastikfiguren und Blechspielzeug) – bei ihm wartet es in Schränken und Regalen auf seine Auferstehung als Kunst-Objekt. Dass in den letzten Jahren auch Kruzifixe kein Tabu mehr sind, mag manchen ärgern: Für Alfred Grimm, den Zeichner, Objektemacher und Kunsterzieher am Theodor-Heuss-Gymnasium, der heute sein 60. Lebensjahr vollendet, ist es nur konsequent.

Spektakulärer Auftritt

Ein Provokateur, einer der mit dem Mittel der Kunst Reaktionen hervorruft, war er schon immer. Man denke nur an seinen spektakulären Auftritt zu einer Picasso-Ausstellung im Jahre 1980, als er in aller Ruhe sein Redemanuskript zerkaute und schließlich nur noch unverständlich vor sich hin brabbelte. Genau das verschlug den Vertretern der Stadt endgültig die Sprache und endete mit einem mehr als peinlichen Platzverweis. Alfred Grimm nahm die Geschichte gelassen. Als ehemaliger Schüler von Joesph Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie kannte er sich aus in Sachen Kunst-Eklat.

Der besondere Reiz mag für ihn wohl darin gelegen haben, dass er ihn der Stadt zumutete, in der er im Schatten der Lohberger Fördertürme aufgewachsen und Schüler derselben Schule gewesen war, an die er nach seinem Studium als Lehrer zurückkehrte. An Rilkes „Leben in wachsenden Ringen“ muss man ohnehin denken, sucht man nach einer Formel für diese oft ungestüme, immer jedoch ihrem Mittelpunkt verhaftete Künstler-Existenz.

Mit Pinsel und Schneidbrenner

Als er zusammen mit seiner Ehefrau und Kollegin Barbara in Bruckhausen, ganz in der Nähe seines Elternhauses, einen aufgelassenen Bauernhof erwarb, spielten natürlich vor allem praktische Erwägungen eine Rolle. Wo sonst kann man all den Zivilisationsmüll lagern, der für die Grimm’sche Kunstproduktion unerlässlich ist? Vermutlich steckt jedoch auch anderes dahinter. Denn irgendwo braucht dieser sensible Berserker, der mit Blei und Schneidbrenner ebenso umgehen kann wie mit Pinsel und Zeichenstift, „seine“ Topographie, um den Spagat zwischen Natur und Zivilisation immer wieder zu versuchen.

Golgatha in der Gegenwart

Denn was sonst sind diese optischen Metaphern, diese Vereinigungen des Unvereinbaren, denen er ironische, oft sarkastische Titel gibt wie „Schwarzwaldklinik“, „Lüneburger Heide“ oder auch – mit Blick auf das Ruhrgebiet – „Ein starkes Stück Deutschland“. „Existenziell treffen“ sollen nach Grimms eigenen Worten den Betrachter auch die (jüngeren) Kruzifixe – Golgatha, die „Schädelstätte“, verlegt in eine technisierte und oft nicht minder grausame Gegenwart. Zu ihr im weiteren Sinne gehört auch der „Leiterwagen“ im Stadtpark, Denkmal für die von den Nationalsozialisten deportierten jüdischen Waisenkinder.

Ein umfangreiches, auch zeichnerisch-malerisches Werk hat Alfred Grimm in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in vielen Städten Deutschlands (u. a. Essen, Düsseldorf, Köln, Berlin, Flensburg im Norden bis Garmisch-Partenkirchen im Süden), des europäischen Auslands (Frankreich, Österreich, Schweiz) und sogar in New York bekannt gemacht. In einem weiten Radius haben sich selbst Kirchen seiner unkonventionellen Darstellung der menschlichen Leidengeschichte angenommen – in Werke, die „Christus auf der Intensivstation“ oder „Chemie-Christus“ heißen.

Beharrlich Kreise gezogen

Wahrlich, dieser Alfred Grimm hat beharrlich seine Kreise gezogen, ohne je für mehr als einen Urlaub seinen Wohnort zu verlassen. Als Lehrer hat er Generationen von Schülern die Augen geöffnet für das, was sich gerade hinter den banalen Dingen des Alltags verbirgt. Als Mitbegründer des „Kulturkreises“ und begehrter Festredner bei Ausstellungseröffnungen hat er mit Eloquenz und großem kunstgeschichtlichen Sachverstand den Besuchern den Weg zum Kunstwerk gewiesen.

Das alles, in seiner Summe, hat ihn für Dinslaken unentbehrlich gemacht. Obwohl es, wie gesagt, mitunter „ein Kreuz mit dem Mann“ ist. Möge er uns und dieser Stadt noch lange erhalten bleiben. Denn ohne ihn wäre das öffentliche Leben hier farbloser und – „ein starkes Stück“ ärmer.

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