PresseAuf der Suche nach der verborgenen Botschaft
— Rheinische Post
Original-Artikel und weitere Anhänge
An das auslösende Moment kann ich mich noch gut erinnern. Alfred Grimm hört 1989 eine salbungsvolle Morgenandacht eines Weihbischofs im Autoradio und ärgert sich schwarz. Wie kann man den Gekreuzigten mit salbungsvollen Worten nur so zuschleimen?
Alfred Grimm fragt sich, ist das Christus nicht immer wieder passiert? Hat sich seine Kreuzigung in ihrer brutalen Realität in den Goldkettchen verflüchtigt, schön, glatt und wertvoll? Grimm beschließt, sich mit dem Gekreuzigten inhaltlich auseinanderzusetzen und schafft den Spaghettichristus als Antwort auf den Weihbischof. Der Gekreuzigte ist völlig zugeschleimt, seine Realität, seine Botschaft ist verborgen. Jetzt könnte der Künstler das Thema abhaken, doch siehe da, das Thema lässt ihn nicht los, genauer gesagt, der Gekreuzigte lässt ihn nicht los. 13 Arbeiten entstehen bis zum Frühjahr 1990. Die Presbyter der evangelischen Kirchengemeinde Dinslaken hatten den Mut, in der Karwoche 1990 die ersten 13 Kruzifixe in der Stadtkirche auszustellen. Der Fotograf Klaus Michael Lehmann erinnerte in seiner Einführung an Goethe, der im EWIGWN JUDEN sagen lässt: “Er war nunmehr der Länder satt, wo man so viele Kreuze hat, und man für lauter Kreuz und Christ IHN eben und SEIN Kreuz vergisst!“
Spannend an Alfred Grimms Kreuzigungsdarstellungen finde ich, dass er Über-Setzung leistet. Das macht neben dem künstlerischen Rang auch den theologischen Rang dieser Arbeiten aus. Wenn Grimm traditionelle Kruzifixe aktuell deutet, ist er Jesus nahe. Denn Jesus selbst ist mit der Tradition, die er vorfand, ähnlich umgegangen. Obwohl er als frommer Jude die Bücher der Thora mit den Weisungen des Gesetzes genau kannte und achtete, hat er die alten Gesetze aktualisiert und so seinen Zeitgenossen näher gebracht.
In der Bergpredigt sagt er: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist… Ich aber sage euch…“
Wie sehr Grimms Kruzifixe zum Denken und Umdenken einladen, zeigt das Echo der Besucher der ersten Ausstellung in der Evangelischen Stadtkirche in Dinslaken. “Grimms Kruzifixe bringen die Widersprüche dieser Welt auf den optischen Nenner.“
„Ist es nicht mehr als konsequent, wenn Alfred Grimm sehr engagiert uns mit seinen Arbeiten auf unsere Welt, die eben nicht heil ist, auf unser Verhalten, das nicht immer christlich ist, aufmerksam macht?“ oder „will uns die Ausstellung fragen, ob es noch einmal 2000 Jahre dauert, bis die Menschen zur Vernunft kommen?“
Ronny Schneider