PresseDie „Kreuzgenossen“ im Kloster Kamp
— Rheinische Post
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Herr Grimm, seit wann beschäftigen Sie sich mit den Kruzifixobjekten?
ALFRED GRIMM Hier im Katalog ist das erste Objekt von 1968. Es gehört allerdings noch nicht in diese große Kruzifixreihe. Seinerzeit hatte Pfarrer Paskert – er hat mich auch konfirmiert – in Lohberg eine Predigt gehalten und hat über den Kreuzestod Christi so blutig und schlimm und schrecklich berichtet, dass ich nach Hause gegangen bin, ein Stück Wachs genommen habe und das, was ich so an Informationen hatte, gestaltet habe. So entstand das erste Kreuz, das jetzt als „Karfreitagsobjekt“ in den Katalog aufgenommen worden ist.
Und seitdem hat Sie das Thema nicht mehr losgelassen. Was fasziniert sie denn an dem Gottessohn am Kreuz?
GRIMM Zunächst einmal leben wir ja in einer Gesellschaft, die geprägt ist vom Christentum, und ich hatte immer eine gute Beziehung zur Kirche. Ich bin jeden Sonntag in die Kirche zum Kindergottesdienst gegangen und ich würde sagen, ich bin bibelfester als mancher moderner Theologe. Das ist jetzt nicht so, dass ich michnach diesem künstlerischen Thema dränge, aber ab und zu meldet sich das Kreuz – durch innere oder durch äußere Anregung. Ich habe jetzt schon wieder auf Zettelchen einige Dinge skizziert, so dass ich wohl noch eine Weile ausgelastet bin mit diesem Thema. Es ist jedoch nicht mein Hauptarbeitsgebiet. Wenn ich nur so kirchlich ausgerichtet arbeiten würde, kämen wahrscheinlich irgendwann zwei betende Hände heraus, irgendetwas Kirchlich-Liebes, und das möchte ich nicht. Mich hat der Kreuzestod immer schon interessiert, weil er nun einmal eine entscheidende Bedeutung innerhalb des christlichen Lebens und Glaubens hat. Was ich überhaupt nicht verstehe, dass irgendwann einmal einer durch die Schulen gegangen ist und gesagt hat, das Kreuz stört mich und dann mussten alle Kreuze abgenommen werden.
Aus Anlass des Bundesverfassungsgerichtsurteils 1995, auf das Sie gerade anspielen, haben Sie ja auch ein Kreuz geschaffen.
GRIMM Ja, da habe ich das Bayrische Schulkreuz gemacht – ein hohes Objekt, bei dem im oberen Teil die Leerstelle zu sehen ist, die das abgenommene Kreuz hinterlassen hat und darunter ist der Eimer, in den die ganzen Kruzifixe reingeworfen werden. Gucken Sie heute mal ins Internet, da bekommen Sie Kreuze oder Weihwasserbecken für einen Euro (zu hunderten) – alles wird verramscht. Und das empfinde ich als einen großen Mangel, dass das alles gar nichts mehr wert zu sein scheint.
Ihre Kruzifixobjekte provozieren und Sie müssen sich über die Jahre hin die Frage gefallen lassen, ob Kunst das darf. Gerade ist die Debatte angesichts des Anschlags auf die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ wieder mal entfacht worden. Wie beantworten Sie die Frage, was Kunst oder Satire aktuell darf?
GRIMM Ich bin fest davon überzeugt, dass in der Kunst alles gemacht werden kann und darf – vorausgesetzt die Arbeit hat Qualität und ist rundum überzeugend gestaltet.
Ihre Kruzifixe haben auf jeden Fall auch immer Anstoß erregt.
GRIMM Ja, das war so und ich bin gespannt, was jetzt bei der Ausstellung „Kreuzgenossen“ im Kloster Kamp passiert.
Die erste Kruzifix-Ausstellung gab es hier in Dinslaken. Damals gab es besonders heftige Reaktionen…
GRIMM Ja, 1990 hat Ronny Schneider den Mut gehabt, die Kreuze in der Dinslakener Stadtkirche auszustellen. Da müssen Sie mal im Gästebuch durchlesen, was dort an Wut und Anfeindungen zum Ausdruck gebracht worden ist. Eine andere Ausstellung hatte ich in Koblenz und bin dort in eine Auseinandersetzung mit einem Presbyter geraten. Der Mann hatte tatsächlich Schaum vor dem Mund, so sehr hat er sich echauffiert über den „Aufnehmerchristus“, mit dem ich zum Ausdruck bringen wollte, dass Christus den Dreck der Welt auf sich genommen hat. Für diese Arbeit habe ich einen völlig zerfledderten Putzlappen meiner Mutter verwendet. Der Pastor hat damals leider verhindert, dass der Presbyter mich wegen Gotteslästerung angezeigt hat. Jetzt hat sich ein Galerieleiter genau diesen „Aufnehmerchristus“ als Dank für seine langjährige Arbeit ausgesucht. So wankelmütig ist die Beurteilung der Kruzifixobjekte. Der eine sagt, das ist Blasphemie, der andere sagt, das ist ein rundum gelungenes Kunstwerk. Das muss man als Künstler aushalten.
Teilen Sie den Eindruck, dass das „Provokationspotential“ ihrer Arbeiten über die Jahre nachgelassen hat – vielleicht auch weil die Kirche nicht mehr diese Bindungskraft hat wie früher?
GRIMM … vielleicht auch nicht mehr diese Ernsthaftigkeit. Es ist im Umfeld tatsächlich ruhiger geworden, und das ist im Grunde schade – jedenfalls von der theologischen Seite aus betrachtet. Ich weiß gar nicht, wie lange die Kirche gebraucht hat, um auf das oben angesprochene Kruzifix-Urteil zu reagieren. Es hat drei Wochen gedauert, bis es erste Demonstrationen gab. Ich hätte mir das anders vorgestellt. Wenn man an einem so zentralen Punkt angegriffen wird, hätte ich mir energischeren Widerstand vorgestellt.
Ihre Kruzifixe sind Ihr Weg, darauf hinzuweisen, dass Jesus uns auch heute noch etwas zu sagen hat. Ist Ihnen diese Botschaft so wichtig, dass Sie dafür bewusst in Kauf nehmen, dass die Arbeiten auf so manchen anstößig wirken?
GRIMM Ja, diese Arbeiten sollen anstößig sein, im Sinne von Anstoß erregen. Ich mache die Sachen und die mache ich, weil ich sie verantworten kann und weil ich meine, dass sie gemacht werden müssen. Ich habe den Drang danach, und ich kann nicht immer berücksichtigen, wie andere Menschen darauf reagieren.
Jörg Werner führte das Gespräch.
Info
Ein spannendes Seh- und Leseerlebnis
Katalog Alfred Grimm, Kruzifix-Objekte, Kloster Kamp 2015, 104 Seiten, 76 Abbildungen in Farbe, Biografie, Portraitfoto, Ausstellungsübersicht, kunsthistorischer Text von Dr. Bernd Krysmanski, Preis 19,50 Euro
Objekt Zur Ausstellung ist ein Variationsobjekt erschienen „Mein zweites Abendmahl“, Auflage 30 Stück, je 150 Euro
Bezug Der Katalog, der alle bisher entstandenen Kruzifixobjekte enthält, und das Variationsobjekt sind im Kloster Kamp oder über Grimms Homepage zu erhalten: www.alfred-grimm.com