PresseDie Krux mit Grimms Kreuzen
— NRZ
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Bettina Schack
Dinslaken. Steuern kann er seine künstlerischen Einfälle nicht. Doch dann ist es ein Bild, ein Traum im Halbschlaf oder ein beiläufiges Wort, das Alfred Grimm zupacken lässt. Zu Holz und Metall, zu Pinsel und Acryl, zu den tausenden von Fundstücken, die er in seinem Atelier in langen Regalreihen verwahrt. Dann entstehen Tortenstücke und Autounfälle, Grimms Mädchen oder Grimms Kruzifixe. Kreuze, an denen sich die Geister scheiden, provokant, anders und engagiert. Unbequeme Kunst für ein unbequemes Christentum, bohrende Stachel gegen die Verletzungen von Menschlichkeit. Der Ausgangspunkt für Grimms Kruzifixe ist der von Menschen erniedrigte, zum Tode verurteilte Mensch.
Ein Heiligenschein aus Patronenhülsen
Ein Heiligenschein aus Patronenhülsen, ein Christus im Müll. Blasphemisch? Schockierend? Oder Kunst, die mit Sehgewohnheiten bricht, aufrüttelt und zum Nachdenken anregt? Vor zwanzig Jahren, im April 1990, lud Pfarrer Ronny Schneider Alfred Grimm ein, erstmals 13 seiner Kruzifixe öffentlich zu zeigen. „Es ist ein großes Wagnis gewesen“, sagt der Künstler heute über die Entscheidung des Pastors für die Ausstellung in der evangelischen Stadtkirche. Die kontroversen Einträge im Gästebuch geben davon Zeugnis.
Genau diese Art Widerspruch ist es, was Grimm als Künstler braucht. „Es war, als hätte man das Blättchen einer Granate aktiviert“, erklärt er heute in seiner temperamentvollen Art. „Das Ding ging los: eine richtige Initialzündung“.
Zwanzig Jahre später listet Alfred Grimm an die 70 Kruzifix-Objekte auf. Nun sind zwei neue entstanden, Ende offen. Inspirationsquelle dieses Mal war ein Text mit einem der Grimmschen Herangehensweise ganz ähnlich veränderten Blickwinkel. Interessant: dieser Text war wiederum von einem Bild inspiriert.
Für die Ausstellung „Dinslaken – Kunst macht Geschichte“, in der vom 12. Dezember an 15 Künstler und Autoren aus Dinslaken ihre persönlichen Auseinandersetzungen mit historischen Fotos aus dem Stadtarchiv präsentieren, hat Martina Weinem eine Kurzgeschichte über das Hagelkreuz in Eppinghoven geschrieben. Christus am Kreuz spricht als Ich-Erzähler. Bei Wind und Wetter hänge er kaum bekleidet am Straßenrand, nur ein Schuljunge hätte Mitleid und Fantasie, wärme ihn mit einem Mantel und träume davon, ihn auf einen Kaffee einzuladen. „Ich war unbekleidet, ihr habt mir Kleidung gegeben, ich war gefangen, ihr habt mich besucht“, heißt es im Evangelium, „Nein“, sagt Martina Weinem, sie sei nicht bibelfest, kenne die Worte Jesu „was ihr an einen der Geringsten getan habt, habt ihr mir selbst getan“, nicht. Der Mensch am Kreuz habe sie einfach als Mensch berührt.
Und Grimm packte die Geschichte. Für die Ausstellung schuf er ein dem vorgegeben Format 60 × 80 Zentimeter entsprechendes Objektbild und ein zwei Meter hohes Kruzifix-Objekt.
Keine Ausstellung in katholischen Kirchen
Grimms Kruzifix in einer Gemeinschaftsausstellung. 21 Einzelausstellungen widmeten sich zwischen 1990 und 2003 dem Thema. Immer wieder waren Kirchen die Ausstellungsorte. „Aber nie waren es katholische“, stellt Grimm bedauernd fest. Drei Kirchen kauften Kruzifixe an, darunter die „Arche“ in Bruckhausen. Demgegenüber stehen vier Schulbuchverlage, die Kruzifixe von Grimm zum Aufhänger von Aufgaben machten.
Die Provokation schreckt halt doch, solange „Beuys-Schüler“ in Gästebüchern tatsächlich als Schmähung auftaucht. Für seinen „Aufnehmerchristus“, eine Christusfigur am Besenstil mit Wischmopp, „der den ganzen Dreck der Welt wegwischt“ habe ihn ein Presbyter in Koblenz beinahe wegen Blasphemie angezeigt, erzählt Grimm mit Bedauern, dass es nicht zum Rechtsstreit um die Kunst kam.
Irgendwann kommt halt die Aussage an. Wie bei Grimms Lieblingsobjekt „Christus in der Gosse“. In der Dinslakener Ausstellung 1990 wurde die Installation eines Kruzifixes im Dreck am Rand eines Gullideckels nicht gezeigt. Etwas später machte es die Hiesfelder Pfarrerin Lore Sagel zum Gegenstand einer Osterpredigt.
Die Ausstellung „Kunst macht Geschichte“
Die Ausstellung „Dinslaken – Kunst macht Geschichte“ im Museum Voswinckelshof wird am Sonntag, 12. Dezember, um 11 Uhr eröffnet.
Beteiligt an der künstlerischen Auseinandersetzung mit historischem Material aus dem Stadtarchiv Dinslaken in Wort und Bild sind Udo Buschmann, Annette Brands, Gudrun Bröckerhoff, Jess Geiger, Barbara Grimm, Alfred Grimm, Ingrid Hassmann, Asmaa Mengesha, Martina Reimann, Walburga Schild-Griesbeck, Marco Schmidt, Jutta Ulrich, Martina Weinem, Ruth Wendt und Margret Zehrfeld.