PresseEin unbequemer Mahner

— Rheinische Post

Vor 20 Jahren schuf Alfred Grimm mit einer großen Bronzeplastik eine zentrale Gedenkstätte für Nazi-Opfer in Dinslaken: Jetzt setzt der Künstler (69) seine Erinnerungsarbeit mit Mahnsteinen fort.

Von Ralf Schreiner

Niederrhein Alfred Grimm mag Skandale. Als der Künstler anlässlich einer Picasso-Ausstellung in Dinslaken einmal eine Rede halten sollte und sah, dass drei der Bilder auf dem Kopf hingen, stopfte er sich sein zehnseitiges Manuskript in den Mund, kaute darauf herum und spuckte es den Besuchern aus Protest vor die Füße. Der Eklat war perfekt.

Das Ereignis liegt über dreißig Jahre zurück. Vergessen ist es nicht. Wie könnte es das auch bei einem Künstler, der seit Beginn der 80er Jahren mit seinem Werk in Dinslaken und am Niederrhein derart präsent ist, wie Alfred Grimm. 1943 in Dinslaken geboren, studierte der Pädagoge von 1964 bis 1970 an der Kunstakademie Düsseldorf, unter anderem bei Karl Bobek und Joseph Beuys. 1981 begann es an überregionalen Ausstellungen teilzunehmen. Heute blickt Grimm auf 66 Einzelausstellungen in Deutschland und den Niederlanden sowie 120 Gemeinschaftsausstellungen unter anderem in Luxemburg, Frankreich, der Schweiz und den USA zurück.

Der Arbeitseifer des 69-jährigen ist enorm, Er malt, zeichnet, fertigt Objekte, Plastiken, Installationen. Grimm provoziert gerne; seine Gesellschaftskritik verpackt er in Kruzifix- und TV-Objekte, öltriefende Tortenstücke oder einen umgebauten gynäkologischen Stuhl. Hunderte und Aberhunderte von Arbeiten hat Grimm aus Alltagsschrott geschaffen, allesamt sperrig und oftmals raumgreifend; es ist Kunst, die sich niemand ins Wohnzimmer stellt, die aber gern in Museen, Galerien, in Kirchen und auf Kunstmessen zeigt wird. Etwas verbindlicher ist Grimms zeichnerisches und malerisches Werk – viele seiner Aquarelle, Pastelle, Acrylbilder und Bleistiftzeichnungen befinden sich in Privatbesitz. Im öffentlichen Raum ist der Künstler mit einer Reihe von Großplastiken präsent.

Als Alfred Grimms Mahnmal am 4. November 1993 im Dinslakener Rathauspark aufgestellt wurde, war dies für die Stadt ein Meilenstein. Der bronzene Leiterwagen, der an die Pogromnacht von 1983 erinnert, ist die zentrale Gedenkstätte für die Opfer der NS-Gräueltaten in Dinslaken. Jetzt setzt Alfred Grimm seine Erinnerungsarbeit fort. Er schafft vier Mahnsteine für die Dinslakener City. Die Bronzeplastiken sollen dort stehen, wo jüdische Bürger gelebt und gearbeitet haben.

Alfred Grimm arbeitet nicht abstrakt, Die Mahnsteine – gegossen werden sie in der Kunstgießerei Butzon und Bercker in Kevelaer – sollen ihre Botschaften anschaulich transportieren. Der erste Stein – er zeigt Hut, Handschuhe, einen Schal – erinnert an Hermann Eichengrün, der in Dinslaken ein Hutgeschäft betrieb. Die zweite Plastik – mit Wasserhahn und Abflussrohr – ist dem Installateur Julius Isaacson gewidmet. Beide Steine sollen im Oktober aufgestellt werden.

Zwei weitere sind in Arbeit – darunter der für die Viehhändler Josef und Julius Jacob. Das Wachsmodell zeigt einen dicken Strick, einen abgetrennten Kalbskopf, zwei kleine Kühe, einen Bullen, Messer, Geldbörse. Es steht in Grimms Atelier in Hünxe-Bruckhausen. Die 350 Quadratmeter große Halle, ein ehemaliger Tanzsaal, ist bis unters Dach vollgestopft mit Kunst. Tausende Zeichnungen lagern in Mappen, Schubladen und Schränke, viele Hunderte Objekte, verpackt und verschraubt in riesigen Holzkisten. Das Refugium ist zugleich ein riesiges Materiallager. In den Regalen stapeln sich unzählige Kistchen und Kästchen, Kartons und Schachteln, in denen Grimm all die Dinge aufbewahrt, von denen er glaubt, dass sie mal zu Kunst werden können: Haare, Operationsbesteck, Wiese, Damenschuhe, tote Vögel, Patronenhülsen, Bauklötze, Schädel, Schaufensterpuppen. Grimm hat den Zivilisationsmüll tonnenweise zusammengetragen. Was andere wegwerfen, dient ihm als Rohstoff für seine Arbeiten.

Manchmal wird daraus etwas ganz Großes. Das farbenprächtige Objektfenster, das der Künstler 1990 für die evangelische Kirche Unsere Arche in Hünxe-Bruckhausen geschaffen hat, belegt dies in eindrucksvoller Weise. Es ist das wohl einzige Kirchenfenster, bei dem die Gottesdienstbesucher auf Fliegendraht, Kohlebrocken, Plastikfische und tote Mäuse blicken.

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