PresseKunst mit Kopf, Herz und Hand
— Rheinische Post
Hünxe Es mutet doch seltsam an, dass einem evangelischen Christen die Bitte um eine persönliche Stellungnahme zu einem neuen Papst herangetragen wird. Als Schüler am Dinslakener Gymnasium bin ich oft und gerne in den katholischen Gottesdienst gegangen. Vielen katholischen Klassenkameraden wäre es aber nie in den Sinn gekommen, überhaupt die Schwelle einer evangelischen Kirche zu überschreiten. Sie hätten ihr Seelenheil in Gefahr gebracht.
Allein aus dieser Vorbemerkung wird doch schon der große Wandel sichtbar, der in den vergangenen Jahrzehnten im Zusammenleben der Christen eingetreten ist. Der obige Ausspruch des Heiligen Franz von Assisi ist für meine künstlerische Ausbildung umfassend gültig.
Aus den Studienreisen nach Italien und aus Abbildungen und Texten der Kunstgeschichte sind meiner Frau und mir die Fresken von Giotto bekannt, die das Leben des Heiligen Franz von Assisi in einer Serie mit einer neuartigen Bildsprache darstellen.
Die nach traditionellen Regeln erstellten, stilisierten, mittelalterlichen Darstellungen werden von diesem begnadeten Künstler Giotto (1266–1337) aufgebrochen. Ein natürlicher Bildaufbau wird mit einem organischen Tiefenraum verbunden. Die plastisch wiedergegebenen Menschen handeln lebendig, gefühlsbetont und ungekünstelt. Hier ergeben sich unglaubliche Parallelen. Giottos revolutionäre Sicht auf die Welt entspricht genau der neuen, einfachen, völlig prunklosen Lebensform der Mönche des neu gegründeten Franziskanerordens. Offensichtlich will nun der brasilianische Papst Franziskus mit der Annahme des Namens vom Heiligen Franz an diese Tradition anknüpfen, Verhärtungen und Verkrustungen im kirchlichen Aufbau lösen und eine vorsichtige Wandlung und Wendung zu einer weltoffeneren Kirche anstreben. Dass er mit diesem Versuch auf eine erbitterte Gegnerschaft innerhalb des vatikanischen und des strengen, traditionellen, erzkatholisch ausgerichteten Klerus treffen wird, ist wohl vorherzusehen.
Optimistisch könnte ich sein, wenn ich – wahllos herausgegriffen – an die Erfolge des II. Vatikanischen Konzils denke, oder an die unvorhergesehene, völlig überraschend erfolgte deutsche Wiedervereinigung. Hier kamen offensichtlich weltpolitische Grundstimmungen, persönliches, machtpolitisches, mutiges Handeln und vielleicht auch das Wehen des Hegelschen Weltgeistes zusammen. Könnte das nicht auch auf die geschichtliche Epoche und den Wirkungskreis des neuen Papstes zutreffen, wenn es gelingen sollte, dass Hände, Kopf und Herz sinnvoll zusammenarbeiten?
Ein Grundton anderer skeptischer Weltsicht kam nach der Papstwahl neulich in einem Gespräch unter Kollegen auf. Es wurde die Frage in die Runde gestellt, ob jemand wisse, wie lange eigentlich der als „der lachende Papst“ in die Kirchengeschichte eingegangene Pontifex im Amt war, bevor er tot in seinem Bett aufgefunden wurde? Keiner wusste es. Keiner schaute auf einem iPhone nach. War das ein gutes Zeichen?
ALFRED GRIMM