PresseLamm Gottes

— Rheinische Post

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Das Objekt stammt aus dem Jahre 1998. Es macht dem Betrachter die brutale Gewalt des Kreuzestodes in schockierender Weise bewusst.

O Lamm Gottes unschuldig, am Stamm des Kreuzes geschlachtet …“ – so beginnt das lutherische Kirchenlied von Nikolaus Decius, das auch Eingang in das katholische Gesangbuch gefunden hat. Gelegentlich wird Jesus Christus in der Eucharistiefeier mit diesen drastischen Worten als das geschlachtete Gotteslamm besungen.

„Das ist unerträglich … geschmacklos… für einen Gottesdienst mit Jugendlichen völlig ungeeignet…“ – so entrüstet zeigte sich jemand, als ich diese Lied für einen Firmgottesdienst ausgesucht hatte. Sowohl das Lied vom geschlachteten Gotteslamm als auch Alfred Grimms „Schlachtbankchristus“ irritieren und provozieren. Das mag viele Gründe haben: Da ist zunächst dieses unbequeme Wort „Schlachtung“. Schlachtungen geschehen heute im Verborgenen, in riesigen Schlachthöfen, mit hohem technischen Aufwand, vollzogen vor allem durch Arbeiter aus Osteuropa. Vom Sterbevorgang oder gar vom Blut des Tieres ist an der Fleischtheke nichts mehr zu sehen. Wer will es schon sehen?

In Alfred Grimms Installation „Schlachtbankchristus“ geht es aber nicht um ein Tier. Es ist ein menschlicher Leib, es ist der Gekreuzigte, der mit dem Kopf nach unten am Metzgerhaken hängt. Das Blut an den Fliesen zeigt: Hier wurde jemand im wahrsten Sinne des Wortes abgeschlachtet.

Manch einen „Frommen“ mag diese Installation irritieren. Es ist auch für mich nicht wirklich ein Andachtsbild, vor dem ich beten könnte. Aber es sensibilisiert den Betrachter zunächst einmal für das grausame Geschehen, das der domestizierten Sprechweise vom Lamm Gottes zugrunde liegt: die brutale Hinrichtung eines Unschuldigen.

Um die Heils-Bedeutung dieses Geschehend auch nur annähernd verstehen zu können, muss man sich ein anderes Geschehen in Erinnerung rufen. Das Judentum zurzeit Jesu kennt eine ganze Reihe von kultischen Schlachtungen. Das Blut eines sterbenden Lammes soll Schutz, Reinigung, Vergebung und Leben bei denen Bewirken, die sich im Gebet mit diesem Opfer verbinden.

Der Evangelist Johannes stellt ganz bewusst diesen Zusammenhang her: Der blutige und grausame Tod Jesu am Kreuz findet genau in dem Augenblick statt, als im Jerusalemer Tempel die Lämmer geopfert, geschlachtet werden. Nicht in den heiligen Hallen des Tempels, sondern in aller Öffentlichkeit, vor den Augen der Welt, auf der Schlachtbank des Kreuzes findet für den Evangelisten Johannes der alles entscheidende Gottesdienst statt.

Während die meisten Jünger Jesu längst geflohen sind und sich vom schauerlichen Geschehen abgewandt haben, ahnt ausgerechnet ein römischer Soldat, ein Heide, als erster die Tragweite dieses Geschehens: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn.“ (MK 15,39) Es wird lange brauchen, bis auch die Jünger Jesu das Erlebte deuten können, bis sie das alttestamentliche Wort „durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jes. 53,5) auf Christus beziehen. Bei den späteren Begegnungen, den sogenannten Erscheinungen des Auferstandenen, werden sie ihn gerade an seinen Wunden erkennen. In Alfred Grimms Installation „Schlachtbankchristus“ sind noch zwei Schlachterhaken frei: Sie mögen stehen für die beiden Schächer, die zusammen mit Jesus gekreuzigt wurden: einer von ihnen wendet sich höhnisch von Christus ab; der andere wendet sich an Jesus und bittet ihn um Erbarmen (Lk 23,39-43) Die Schlachterhaken können auch stehen für die ungezählten Menschen aller Jahrhunderte, die auf der Schlachtbank der Geschichte hingemetzelt wurden und werden. Die Leidensgeschichten der Menschen sind Gott nicht fremd; er hat sie in seinem Sohn selbst erlitten, durchlitten.

Heute ist Karsamstag: Tag der Grabesruhe, Tag des Dazwischen, Tag zwischen Leben und Tod. In der heutigen Nacht werden sich Christen auf dem ganzen Erdkreis an einem Feuer versammeln, um dort die Osterkerze zu entzünden. Sie stehen für Christus, den Auferstandenen. Bevor die Kerze am Feuer entzündet wird, werden fünf rote, manchmal auch goldene Wachsnägel in die Kerze gedrückt: sie symbolisieren die Wunden Jesu, die des geschlachteten Lammes. Wir werden wohl kaum wirklich Ostern feiern können, wenn wir unsere Augen vor der Realität des geschlachteten Lammes und den Schlachtopfern der Geschichte verschließen. „Gib deinen Frieden, o Jesu“ – mit dieser Bitte endet das Lied von Nikolaus Decius. Die Antwort des Auferstandenen ist „Der Friede sei mit euch!“

Bernd Holtkamp

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