PresseMahnmal weist Spuren in schreckliche Vergangenheit

— Rheinische Post

Ehemalige Dinslakener Juden kommen zu Gedenkstunde und Einweihung

Von Ralf Schreiner

Dinslaken. Nie wollte Rudolf Kahan einen Fuß auf deutschen Boden setzen. Nie wieder wollte er das Land betreten, in dem Nazis seine Angehörigen und Freunde ermordeten. Kahan ist Jude. Seit seiner Flucht aus Deutschland lebt er in Israel. Bis heute ist der 74jährige seinem Versprechen treu geblieben. Seit 48 Jahren hat er sein Land nicht mehr verlassen. Daß er am 8. November nach Dinslaken kommen wird, hat einen besonderen Grund. Seine ehemalige Heimatstadt hat ihn eingeladen. Anläßlich des 55. Jahrestages des Pogroms gegen die Dinslakener Juden soll im Rathauspark das von Alfred Grimm geschaffene Mahnmal zur Erinnerung an die Jüdische Gemeinde der Öffentlichkeit übergeben werden. Mit Kahan und seinen beiden Töchtern werden 15 weitere ehemalige Dinslakener Juden für eine Woche hierher kommen. Sie wollen Zeuge werden, wie eine Stadt, in der der braune Mob vor 55 Jahren Synagogen und Häuser in Brand setzte und Menschen erschlug, ihre Vergangenheit bewältigt.

Ulrich Bendokat, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises, bezeichnete das bevorstehende Ereignis gestern in einem Pressegespräch als „einmalig für die Stadt Dinslaken und beide Kirchen“. Die Initiative zur Errichtung des Mahnmals ging von dem synodalen Ausschuß für das christlich-jüdische Gespräch aus.

Am 10. November 1988, zum 50. Jahrestag des Pogroms, hatte dieser Ausschuß unter Mitwirkung der katholischen Gemeinden einen „Weg der Erinnerung“ durchgeführt. Mit einem Leiterwagen waren etwa 1000 Menschen durch die Dinslakener Innenstadt gezogen. Ein sympolischer Akt, mit dem des Überfalls der Nazis auf das jüdische Waisenhaus an der Neustraße am 10. November 1938 gedacht werden sollte. 50 Männer waren an diesem Tag in das Waisenhaus eingedrungen, hatten die Kinder auf die Straßen getrieben, geschlagen und schikaniert. Die etwas Älteren hatten die Jüngeren auf einem Leiterwagen durch die Innenstadt ziehen müssen.

Unmittelbar nach dem 50. Jahrestag dieses grauenhaften Überfalls, wurde der Beschluß gefaßt, ein Mahnmal zu errichten, das an die Waisenkinder und die ehemals blühende Jüdische Gemeinde Dinslaken erinnern sollte. Dekanat und Stadt unterstützten das Projekt von Anfang an. Vier Künstler reichten Vorschläge zur Ausführung ein. Der Bruckhausener Alfred Grimm bekam den Zuschlag. Seine vierteilige Bronzeplastik bringe am deutlichsten die Mahnung an das konkrete Geschehen zum Ausdruck, hieß es als Begründung. Die Entscheidung war richtig: Der in Bronze gegossene Leiterkarren, der, bewacht von einer uniformierten Figur eine Mauer durchbricht, auf denen die Namen der Dinslakener Opfer nationalsozialistischer Verfolgung stehen, zielt auf ein sinnliches Nacherleben des Betrachters hin, ohne auf reduziert-formale Elemente zu verzichten. Die auf dem Leiterwagen befindlichen Container mit Schuhen, Taschen, Kleidungsstücken und Knochen spiegeln zum einen das konkrete Ereignis vom 10. November 1938, weisen aber gleichzeitig auf das spätere Schicksal der Juden wie auch anderer Verfolgter und Opfer des Nazi-Regimes in Deuschland und Europa hin. Den Betrachter bezieht Grimm geschickt mit in das Ensemble ein. Je nach Blickwinkel wird er vom Zuschauer zum Mittäter.

„Geistige Verwüstung“

Die Bedeutung eines solchen Mahnmals könne in einer Zeit, „in der die geistige Verwüstung eines Volkes wieder sichtbar wird“, nicht hoch genug bewertet werden, sagte Superintendent Bendokat mit Blick auf die ausländerfeindlichen Anschläge vergangener Wochen und Monate. Die Entscheidung der Stadt, zur Einweihung des Mahnmals ehemalige Juden aus Dinslaken einzuladen, nannte Bendokat vorbildlich. Da diese Einladung auch eine Begleitperson einschloß, hätten so Töchter und Söhne die Möglichkeit, auf die Suche nach den Spuren ihrer Eltern zu gehen.

Eine Spurensuche anderer Art hat Stadtpressesprecher Horst Dickhäuser hinter sich. Er habe fast „detektivische Arbeit“ leisten müssen, um die Adressen ehemaliger jüdischer Dinslakener herauszufinden. Zahlreiche Briefe wurden verschickt – nach Israel, Argentinien, Chile, Uruguay, in die USA. Viele kamen mit dem Hinweis „unbekannt verzogen“ zurück. Auch Absagen trafen im Rathaus ein, die meisten mit dem Hinweis auf den schlechten Gesundheitszustand des Absenders. „Es war nicht ein Brief dabei, aus dem sich Vorbehalte gegen die Stadt hätten entnehmen lassen“, so Dickhäuser. 16 ehemalige Dinslakener Juden sagten schließlich zu.

Sie erwartet vom 8. bis zum 16. November ein ebenso umfangreiches wie abwechslungsreiches Programm in ihrer ehemaligen Heimatstadt. Begegnungen mit früheren Freunden, Bekannten sowie mit jungen Menschen, die heute hier leben, gehören ebenso dazu wie der Besuch einer jüdischen Theateraufführung. Im Mittelpunkt steht die Enthüllung des Mahnmals. Das Betonfundament am Rande des Rathausparks an der Schillerstraße ist bereits gegossen. Am Montag, 4. Oktober, wird die Skulptur von Düsseldorf, wo sie gegossen wurde, nach Dinslaken gebracht.

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