PresseNur noch ein kleiner Schritt zur Unfreiheit

— Düsseldorfer Stadtpost

„Kunst grenzenlos“: Dem Dinslakener Kunstpädagogen Alfred Grimm wurde verweigert, sein Objekt „Mutter-Erde-Stuhl“ … (?)

Von Norbert Stirken

Kunst basiert auf der Freiheit des Denkens. Sie soll Anstöße geben, Entwicklungen aufzeigen, Gefahren namhaft machen, provozieren, gefallen, um ihrer selbst existieren oder gar auch nicht – Kunst hat viele Aufgaben. Die Grenzen der Auseinandersetzung mit Gedanken und Werken bestimmen weder Geschmack noch ästhetische Empfinden, sondern lediglich gesetzliche Bestimmungen. Dabei ist die Kunst so frei, genau diese Vorschriften auch in Frage stellen zu dürfen.

Unjurierte Präsentationen

Wie ist es aber um Künstler bestellt, die für andere, Publikum und Kreative gleichermaßen, bestimmen wollen, was Kunst ist. So geschehen in Meerbusch. Die Ausstellung „Kunst grenzenlos“ zog Grenzen. Öffentlich Aktive wie die Bildhauerin Gisela Bretz und der Performance-Aktionist Helmut Martin Myren zensierten den Dinslakener Kunstpädagogen und Joseph-Beuys-Schüler Alfred Grimm mit seinem „Mutter-Erde-Stuhl“ aus dem Rund der Teloy-Mühle. Myren, der als Funktionär im Berufsverband Bildender Künstler seit Jahrzehnten für unjurierte Präsentationen eintritt, beugte sich den weiblichen Empfindungen von wenigen um die Organisatorin Gisela Bretz. Sie sah einen Angriff Grimms auf ihr Geschlecht, der ihre Würde verletzte.

Adept des großen Provokateurs

Grimm mußte sich Vorwürfe gefallen lassen, er lege es ausschließlich darauf an, Skandale zu produzieren, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Adept des großen Provokateurs Beuys überzeugt in der Rolle des Empörten tatsächlich nur wenig. Statt sich konsequent den Fesseln gedanklicher Unfreiheit, in der den Interessierten gar kein eigenes Urteil zugetraut und die Auseinandersetzung mit seinem Werk durch Vorenthalt verhindert wird, zu entziehen, nutzt er den Rahmen von „Kunst grenzenlos“ weiter, um zumindest sein Objekt „Wunschkind“ der Öffentlichkeit vorstellen zu können.

Es scheint tatsächlich, als komme Grimm die Diskussion um Zensur gerade recht, um in der Rolle des aufrechten Streiters für die Kunst in den Focus der Medien zu gelangen. Nichts täuscht allerdings darüber hinweg, daß die Meerbuscher Verantwortlichen in ihren Grundhaltungen das Wesentliche der Kunst nicht verinnerlicht haben. Wo sind Bretz, Myren und andere, die sich Künstler nennen, hingekommen, wenn eine recht unbestimmte Empfindung als Anlaß dient, ein Objekt aus dem Ausstellungsraum zu verbannen. Vom Empfinden zum Volksempfinden, ist es nur ein kleiner Schritt. Ist das subjektive Empfinden nämlich nur populistisch genug, darf schon damit gerechnet werden, daß die breite Masse ähnlich fühlt. Das eigene Urteil und die eigene Wahrnehmung ist selbstverständlich ureigenstes Recht. Eine Auseinandersetzung mit dem Werk und damit eine Diskussion über dessen Qualität wurde den Besuchern und auch den meisten Mitausstellern aber aus nicht zu akzeptierenden Gründen verwehrt.

Bretz und andere haben sich selbst der Chance beraubt, sich über ihr Empfinden im Klaren zu werden. Welch traumatisches Erlebnis könnte ihren Abneigungen und Befürchtungen beim Anblick eines gynäkologischen Stuhls zugrunde liegen. Grimm will die geschundene, ja vergewaltigte Mutter Erde versinnbildlichen – ob ihm das mit seinem Exponat gelingt, ist eine ganz andere Frage. Die Antwort darauf sollte jedem selbständig denkenden und fühlenden Menschen überlassen werden. Vordenker á la Bretz und Myren ängstigen nur.

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