PresseRöhrender Hirsch am Fleischerhaken

— Rheinische Post

Alfred Grimm arbeitet an einem neuen Objekt

Von Ralf Schreiner

Hünxe. Vor vier Jahren sezierte er ein Laborkaninchen. Jetzt weidet Alfred Grimm einen Hirsch aus. Mit Knochensäge und Fleischerbeil geht er dem Acht-Ender ans Leder, dass das Blut nur so spritzt. Endstation Fleischerhaken. Die in fahles Licht getauchte Schlachtbank mit dem tropfenden Wildbret irritiert doppelt. Zum einen wegen des brünftigen Röhrens, das da durch die Wand dringt. Es kommt aus einer anderen Welt, aus einer verplüschten Idylle mit Häkeldeckchen, Blümchentapete und Fußbank, mit künstlichen Blumen, vergilbten Fotografien nd Filzpantoffeln. Deutscher Muff, fixierte Heimatidylle, da darf auch der Fernseher nicht fehlen. Das Programm: „Röhrender Hirsch“.

Mensch und Natur

Detailverliebt, wie der Bruckhausener Künstler ist, beschränkt er sich auch diesmal nicht darauf, dass der Betrachter des 1,76 Meter hohen Objekts den TV-Hirsch nur sieht. Er hört auch sein Röhren. Ein installierter Bewegungsmelder macht's möglich.

Das Verhältnis von Mensch und Natur hat Grimm schon immer beschäftigt. Das Staunen vor der Schöpfung ist dabei immer konsequenter einem Erschaudern vor deren Zerstörung durch den Menschen gewichen. Der Künstler klagt nicht an, er hebt auch nicht den Zeigefinger. Grimm zeigt nur die beiden, formal voneinander getrennten Seiten einer Wirklichkeit. Zusammensetzen muss sie der Betrachter selbst. Auch darüber reflektieren muss er allein.

Sonntagsbraten

Wie bei dem Objekt „Kaninchen – Stall – Labor“ von 1995, konfrontiert Grimm den Betrachter zunächst mit Bekanntem. Wo seinerzeit das Stallkaninchen im Versuchslabor zum obskuren Objekt wissenschaftlicher Begierte mutierte, verwandelt sich diesmal verstaubte Behaglichkeit in beklemmende Wirklichkeit. Grimm führt zunächst in die gute Stube, zeigt die Muff gewordene Bürgerlichkeit, bevor er das Sinnbild deutscher Heimattümelei aus der inszenierten Lügenwelt schneidet, um es vor weißer Fliesenwand zu schlachten. Die Kehrseite mag auf den ersten Blick schockieren, lässt bei genauer Betrachtung jedoch eher nachdenklich schmunzeln. Geschieht doch hier im Grunde nichts weiter als die Zubereitung des Sonntagsbratens. Serviert wird in der guten Stube.

Das Objekt „Der röhrende Hirsch“ (1,10 × 1,70 × 1,76) hat Alfred Grimm für die gleichnamige Ausstellung des Kunstvereins Siegen geschaffen, die vom 15. September bis zum 24. Oktober im Haus Oranienstraße in Siegen zu sehen sein wird. Außerdem zeigt der Künstler dort eine Auswahl seiner Tortenstücke sowie einige „Hirsch“-Bilder.

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