PresseVon Ekel und Alfred

— NRZ

Warum der Beuys-Schüler Grimm vor gar nichts zurückschreckt

Von WOLFGANG HELLMICH

Seinen Briefkopf pflegt Alfred Grimm zuweilen mit einem Zusatz zu versehen. Er sei der „7531. Beuys-Schüler“. Das mit dem Beuys-Schüler ist korrekt, die Angabe „7531.“ Ironie. Hier weht ein Hauch jener Provokationslust, die den Kunsterzieher am Dinslakener Theodor-Heuss-Gymnasium auszeichnet. Dem 53jährigen aus Hünxe-Bruckhausen stinkt das alles, diese Leute, die sich mit dem Namen Beuys schmücken, nur weil sie irgendwann einmal ein paar Semester bei ihm studiert haben. So verspottet er sie. Vor allem stinkt dem Beuys-Schüler Beuys. Dessen Aktionen der spätphase nennt er „heillose Onanie“. Beuys habe zum Ende hin nur noch politisch agitiert. Nur: „Wie ein Philosoph keiner mehr ist, sobald er politisch eingreift, ist derjenige kein Künstler, der politisiert.“

So gesehen ist Grimm ein Künstler. In politischen Dingen hat er sich Abstinenz verordnet. Indes, nur in den parteipolitischen. Ansonsten geht es ihm um nichts weniger als ums Ganze. Grimm ist ein Provokateur, einer der wenigen, die es am Niederrhein gibt.

1968, dem Jahr der Revolte, hat Grimm, damals 24jährig,

LEUTE VON NEBENAN

die Bühne des öffentlichen Kunst-Lebens betreten. In Wesel. Was er dort auslöst, verdient das Wort Skandal. Ausstellungsbesucher empören sich über die Grimmschen Akte im Rathauskeller. Die Kreis Reeser Post spricht ihm die Berufsbezeichnung „Künstler“ ab, weil sich seine Kunst auf die „Darstellung des weiblichen Körpers in obszönster Form“ konzentriere, und fragt sich: „Wann endlich wird gegen die Verseuchung unserer Jugend protestiert?“ Der Name Grimm ist ruiniert, bevor er sich überhaupt einen Namen machen kann.

Grimm lächelt. Lange her, das. Wie auch jene Ausstellungseröffnung in Dinslaken, im Jahre 1972. Seine Heimatstadt schmückt sich damals mit einer Picasso-Retrospektive. Grimm soll die Festrede halten. Weil er dem Publikum vermitteln will, wie revolutionär Picassos Kunst um die Jahrhundert-Wende war, tut er dies: Er ißt sein Redemanuskript auf, nach zwei Sätzen. Und kassiert dafür 100 Mark: Redehonorar. Der damalige Kulturdezernent spricht von einer „Weltschande“.

Grimm lächelt wieder. Leuten vor den Kopf zu stoßen – das ist sein Ding. Er holt einen Brief hervor, adressiert an den Oberbergischen Kunstverein Gummersbach, der 1986 Objekte des Hünxer Künstlers ausgestellt hat: „Bin ich denn in einem Kunstverein oder in der Düngemittelbranche (Kuhmist) oder auf einer Mülldeponie (Mullbinden, Sardinenbüchsen, Kanister, Drahtstücke, WC-Becken).“ Die Verfasserin ist so empört ob des Gesehenen, daß sie ihren Austritt aus dem Kunstverein erklärt. Wg. Grimm.

1993 bedroht Grimm bei einer Vernissage in Siegen das Publikum mit Wasserpistolen und Konservendosen. Weil er sich außerstande sieht, über seine Kunst zu referieren, stopft er sich den Mund mit Brot zu, so daß das Publikum nur noch ein Grunzen vernimmt. Am meisten fühlt es sich jedoch belästigt von stinkender Buttersäure, die Grimm benutzt hat, um einem Blutroten Faden den richtigen Hauch verdorbener Spaghetti zu verleihen.

Solche Aktionen deuten darauf hin, welche Auffassung von Welt Grimm hat: Sie ist ein grandioser Saustall. In aller Deftigkeit führt er mit seiner Kunst vor, was er davon hält, von den miesen Geschäften des Kapitals, von Diplomaten, die in ihren Koffern die Waffe bereit liegen haben. Wie mensch die Natur mordet, Stück um Stück. Und wer die Verantwortlichen sind: Wir selbst. Wir sind die Erfüllungsgehilfen des eigenen Untergangs, eine These, die Grimm illustriert, indem er Menschen ins Fernsehgerät drängt, auf Flaschen zieht oder aufs Schachbrett nagelt.

Diese durch und durch düstere, mit einer gehörigen Portion Zynismus gewürzte Weltsicht korrespondiert mit dem Material, das er benutzt: Plunder vom Dachboden, Sperrmüll, ausgediente Untersuchungsgeräte aus dem Krankenhaus, Kippen, Aschenbecher, Gliedmaßen von Barbie-Puppen, Kruzifixe, Lippenstifte, Plastikeier, Vogelmumien – Überreste einer technischen Zivilisation, die munter der Devise frönt: „Weiter so!“

So viel Untergang bedarf eines positiven Gegenstücks. Grimm findet es in der Erotik. Die Frau, mit Vorliebe die nackte, ist für ihn der Fetisch, vielleicht auch eine Utopie, die Rettung. Er hat unzählige Akte geschaffen, von Beginn an, hervorragende Zeichnungen. Auf die Frage, warum um die Erotik in seinem Werk eine solch zentrale Rolle spiele, pflegt er mit einer Gegenfrage zu antworten: „Ist das nicht bei allen Männern so?“

Grimm lebt in einem alten Bauernhaus in Bruckhausen, umgeben von 21 Schafen, 17 Hühnern, sieben Gänsen, fünf Puten, einer Katze, einer Frau und zwei Söhnen. Neben dem Unterricht an der Schule und der Kunst sammelt er, seit 30 Jahren. Waschmittelpakete (6000 an der Zahl). Cola- und Limodosen. Tiefkühlkostdosen, Plastikflaschen, Puppenstuben, Playmobil-Figuren, Plastiktüten, Barbie-Puppen (500 an der Zahl).

Seine Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen sind kaum mehr zu zählen. 1992 hat die Stadt Dinslaken in Rathausnähe ein Bronzemal von Grimm aufgestellt, das an die ehemalige jüdische Gemeinde in Dinslaken erinnert. Für die evangelische Kirche in Bruckhausen hat er ein „Objektfenster“ geschaffen. Allein, auf den sogenannten großen Durchbruch wartet er noch.

Unlängst hat Grimm in Wesel ausgestellt. Im Gegensatz zum Jahr 1968 ist es ruhig geblieben. Was wohl daran gelegen hat, daß Grimms vielleicht provozierendstes Objekt überhaupt, die „Mutter Erde“, ein stilisierter Gynäkologenstuhl, der die Zerstörung durch die Industrie symbolisiert, nicht ausgestellt werden konnte, dafür hat sich Wesels Kulturdezernent persönlich ins Zeug gelegt.

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